Ich teile hier einen Auszug aus dem Buch „Auch alte Wunden können heilen“ von Dami Charf (S. 152 ff.). Was sie in diesem Abschnitt schreibt, erscheint mir sehr wichtig zu wissen. Und zwar für jedes Kind, aber auch für jedes erwachsene Opfer sexueller Gewalt. Sie ist niemals harmlos!
„Sexuelle Gewalt ist nicht gleichbedeutend mit einer Vergewaltigung. Sexuelle Gewalt beginnt, wenn ein Erwachsener sexuelle Energie auf ein Kind richtet oder es dieser aussetzt (zum Beispiel durch Pornografie). Jede Frau weiss, wie übergriffig ein Blick sein kann und wie unangenehm das ist. Für Kinder ist diese Energie immer überwältigend! Es gibt kaum eine intensivere und auf eine bestimmte Art rohere Energie als sexuelle Lust. Selbst als Erwachsener können wir kaum damit umgehen oder ekeln uns, wenn jemand seine Lust auf uns richtet und wir keine Lust verspüren. Für Kinder geschehen mehrere Dinge, wenn sie mit dieser Energie konfrontiert werden:
Die Energie ist so stark, dass es für das Kind nicht zu bewältigen ist. Es kommt immer zu einer Überforderung und Überwältigung – auch wenn keine Berührung stattfindet.
Das Kind ist vollkommen verwirrt, es kann das Geschehen nicht einordnen.
Durch die Stresssituation wird beim Kind der Bindungsreflex aktiviert, und wenn die Person, von der die sexuelle Gewalt ausgeht, eine enge Bezugsperson ist, will das Kind von dieser Person beschützt werden. Es merkt jedoch, dass das nicht geht. Kinder können nicht benennen, was da passiert, und das macht sie völlig hilflos.
Viele male sassen mir Frauen gegenüber, manchmal auch Männer, die sagten: „Eigentlich ist nichts passiert.“ Ausserdem geben sich viele Betroffene Selbst die Schuld an dem, was geschehen ist. Vielfach sagen die Täter oder Täterinnen den Kindern auch, dass sie schuld am Verhalten des Täters seien. Als Erwachsene verstehen die Betroffenen oft nicht, warum ihr Leben und ihr Umgang mit Nähe und Intimität so schwierig ist, einfach, weil sie im Kopf haben, dass sexuelle Gewalt immer ein schwerer körperlicher Übergriff sein muss – damit er „gilt“ oder Folgen haben darf. […] Sexuelle Gewalt ist niemals harmlos. […] Das Kind ist fast immer vollkommen allein mit dem Geschehen. Sehr häufig wird ihm nicht geglaubt, das Ganze wird bagatellisiert.
[…] Ein Kind müsste umgehend erfahren, dass Unrecht an ihm begangen wurde und die Verantwortung zu 100 Prozent beim Täter oder bei der Täterin liegt!“
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